Schmale, winklige Straßen und enge Haarnadeln in den Weinbergen an der Mosel hüben, schnelle Pisten und die berühmt-berüchtigte Panzerplatte mit gnadenlosen Hinkelsteinen drüben – die Rallye Deutschland bildet eine Besonderheit im Rallye-WM-Kalender. Während die World Rally Cars auf Wertungsprüfungen wie „Dhrontal“ Kehre um Kehre die Weinberge erklimmen und Fans damit die einzigartige Möglichkeit bieten, von oben herab das Geschehen zu verfolgen, zeigt der Truppenübungsplatz von Baumholder ein ganz anderes Gesicht. Dessen Markenzeichen sind sogenannte Hinkelsteine, eigentlich dazu ausgelegt, Panzer zu stoppen. Tausende von Fans werden deshalb auf dem sonst für die Öffentlichkeit gesperrten Gelände nicht selten Zeuge von Dramen – etwa von verbogenen oder beschädigten Radaufhängungen, die naturgemäß schwächer sind als die Hinkelsteine. Gleichzeitig ist der Streckenverlauf in Baumholder darauf ausgelegt, dass die Zuschauer die Rallye-WM-Autos möglichst mehrfach zu sehen bekommen – daher der Beiname der Wertungsprüfung: „,Arena‘ Panzerplatte“.
Für Genießer: Auftakt am Kölner Dom
Die Rallye Deutschland startet vor altehrwürdiger Kulisse: Am Donnerstag erlebt die Rallye-Weltmeisterschaft einen einzigartigen Auftakt. Auf dem Roncalliplatz vor dem Kölner Dom beginnt für die World Rally Cars der neunte Saisonlauf mit Glanz und Gloria. Nach der Stippvisite an der gothischen Kathedrale sind die Stars der Rallye-WM auf einer festgelegten Route durch die Innenstadt von Köln zum Harry-Blum-Platz unterwegs, bevor es anschließend Richtung Trier und auf die ersten beiden Wertungsprüfungen geht. Am Sonntag endet die Rallye Deutschland nach der Powerstage „Dhrontal“. Nach 16 Sonderprüfungen sowie 371,92 Kilometern auf Zeit wird der Sieger feststehen.
Für Mathematiker: Ogier und Ingrassia mit Chance auf den Titel
Sollten sie sich um weitere 22 Punkte von den Verfolgern absetzen, wäre Sébastien Ogier sowie Julien Ingrassia der WM-Titel in Fahrer- und Beifahrer-Wertung schon nach der Rallye Deutschland nicht mehr zu nehmen. 90 Punkte beträgt der Vorsprung des Volkswagen Werksduos vor den ärgsten Verfolgern derzeit, ihren Volkswagen Teamkollegen Jari-Matti Latvala und Miikka Anttila sowie Thierry Neuville und Nicolas Gilsoul (Ford). Die Wahrscheinlichkeit des vorzeitigen Titelgewinns schon in Deutschland also? Äußerst gering.
Für einen Sieg gibt es in der Rallye-WM 25 Zähler, drei Punkte erhält der Schnellste der sogenannten Powerstage bei jeder Rallye zusätzlich. Demnach muss bei den verbleibenden vier Rallyes der Vorsprung von Ogier/Ingrassia mindestens 112 Zähler betragen, um die Sensation in der Premierensaison mit dem Polo R WRC schon bei der Rallye Deutschland zu schaffen. Ein zweiter Rang und der Sieg bei der Powerstage, also 18 plus drei Punkte (insgesamt 21), genügen dann selbst bei „Nullern“ der Gegner nicht. Gelingt Ogier der Sieg gemeinsam mit der Bestzeit bei der Powerstage, dürften Jari-Matti Latvala und Thierry Neuville nicht besser als Platz sieben abschneiden.
Kleine Randnotiz: Sébastien Ogier stellte zuletzt mit dem Sieg bei der Rallye Finnland seine persönliche Bestmarke mit fünf Siegen in einer Saison ein. Seine Bilanz beläuft sich nun auf insgesamt zwölf Lauf-Siege in der Rallye-WM.
Für Historiker: Ogier/Ingrassia und ihr herausragender Erfolg 2011
Zehn Rallyes, neun Mal Loeb, zehn Mal Citroën – wer die jüngste Geschichte der Rallye Deutschland bis zum Jahr 2002 zurückliest, wird wenig „Ausreißer“ in der ewigen Siegerliste finden. Doch einen gibt es: 2011 siegten Sébastien Ogier/Julien Ingrassia – damals noch mit Citroën – sie bilden bis heute die einzige Fahrer/Beifahrer-Paarung, die den Rekordweltmeister Sébastien Loeb in den Weinbergen rund um Trier geschlagen hat.
Auch die Teamkollegen Jari-Matti Latvala/Miikka Anttila dürfen auf Top-Ergebnisse bei der Rallye Deutschland verweisen. Im vergangenen Jahr erzielte das finnische Duo mit Platz zwei sein bislang bestes Ergebnis. Ebenfalls gute Erinnerungen an die Rallye Deutschland hat Andreas Mikkelsen. Als 19-Jähriger erzielte er bei der abschließenden Wertungsprüfung 2008 seine erste Bestzeit in der Rallye-WM. Gleichauf mit Sébastien Loeb und Petter Solberg setzte er bei der beliebten Zuschauerprüfung „Circus Maximus“ die schnellste Zeit. Im vergangenen Jahr holte er im leistungsschwächeren Škoda Fabia S2000 als Dritter an gleicher Stelle sogar einen Punkt auf der Powerstage.